Unser Kleingartenverein (KGV) Weserstraße e.V. in Essen-Bergerhausen blickt auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurück. Heute umfasst der Verein 34 Kleingärten auf zwei räumlich getrennten Anlagen – eine an der Weserstraße selbst und eine weitere im Bereich der ehemaligen Zeche Ludwig.
Geschichte bis 1945
NS-Zeit: Das Gelände der heutigen Kleingartenanlage diente im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterlager – ein Lager, in dem Zivilpersonen aus besetzten Gebieten unter Zwang für die deutsche Kriegswirtschaft arbeiten mussten. Im Jahr 1942 errichtete die Firma Fried. Krupp auf dem heutigen Kleingartengelände ein großes Barackenlager. Zunächst waren dort französische Zivilarbeiter untergebracht; später wurden mehr als 1000 Männer und Frauen aus dem Osten (sogenannte „Ostarbeiter“) in diesem Lager interniert. Einige bauliche Überreste dieser Zeit existieren bis heute: Mehrere Kleingarten-Parzellen sind über ehemaligen Bunkerfundamenten angelegt, d. h. sie besitzen quasi einen „unterkellerten“ Boden aus Bunkerresten. Beim Umgraben treten stellenweise Relikte aus der Kriegszeit zutage.
Kriegsende 1945: Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Lager aufgegeben. Über das direkte Schicksal der Lager-Baracken ist wenig dokumentiert; vermutlich wurden sie im Laufe der Kämpfe um Essen oder unmittelbar nach Kriegsende beschädigt oder abgerissen. Fest steht, dass nach 1945 das zuvor militärisch genutzte Areal brachlag – in einer von Zerstörungen gezeichneten Stadt mit großem Mangel an Wohnraum und Lebensmitteln.
Nachkriegszeit und Entwicklung zur Kleingartenanlage
Grabeland (späte 1940er Jahre): In den unmittelbaren Nachkriegsjahren diente die Fläche an der Weserstraße als sogenanntes Grabeland. Als Grabeland wurden provisorisch freigegebene Grundstücke bezeichnet, die der städtischen Bevölkerung zur Selbstversorgung mit Lebensmitteln überlassen wurden. Auf solchen Flächen – oft Trümmer- oder Brachgelände – konnten Anwohner Gemüse und Kartoffeln anbauen, um die Versorgungslage zu verbessern. So auch in Bergerhausen: Das ehemalige Lagergelände wurde um 1945–1949 von den Anwohnern umgegraben und bepflanzt, um ihre Familien zu ernähren. Diese Nutzung als Grabeland war zunächst informell und Jahr für Jahr befristet (da langfristig andere Nutzungen oder Bauvorhaben möglich waren). Strukturelle Einrichtungen gab es kaum – keine festen Lauben, keine Strom- oder Wasseranschlüsse, lediglich das Nötigste für den Anbau von Obst und Gemüse.
Entstehung der Kleingartenanlage (1970er–1980er Jahre): Ab den 1970er Jahren vollzog sich der Wandel vom provisorischen Grabeland zur dauerhaften Kleingartenanlage. In dieser Zeit wurde das Gelände planmäßig in Parzellen aufgeteilt und die heutige Gartenkolonie formierte sich. Schrittweise entstanden feste Gartenlauben nach den Vorgaben des Bundeskleingartengesetzes, und das Areal erhielt eine grundlegende Infrastruktur: So wurden spätestens in den späten 1970er oder frühen 1980er Jahren Stromanschlüsse für die Parzellen geschaffen und eine zentrale Frischwasserleitung verlegt (bis dahin mussten die Kleingärtner vermutlich Wasser von extern holen oder Pumpbrunnen nutzen). Zudem errichtete man eine Gemeinschaftslaube , die als Versammlungsraum und für Feiern dient,
Parallel dazu entwickelte sich auch die optische Gestaltung der Anlage: In den 1970er und 1980er Jahren war der KGV Weserstraße für seine gepflegten Gärten bekannt. Der Verein wurde in dieser Zeit nahezu jährlich als einer der schönsten Kleingartenanlagen Essens ausgezeichnet. Viele langjährige Mitglieder erinnern sich noch nostalgisch an diese Phase, in der man mit Blumenrabatten, sauber gehaltenen Wegen und kreativ gestalteten Parzellen bei städtischen Wettbewerben zuverlässig die vorderen Plätze belegte.
Vereinsentwicklung und Struktur
Anfänge im Gartenbauverein: Die Kleingartenanlage Weserstraße war ursprünglich kein eigenständiger Verein, sondern Teil eines größeren Zusammenschlusses. Bereits seit den Nachkriegsjahren (vermutlich seit Anlage der Gärten um die 1950/60er) gehörten die Parzellen zur Sektion Bergerhausen des Gartenbauvereins Essen-Süd e.V. (GBV Essen-Süd). Dieser 1924 gegründete Verein betreute mehrere Kleingartenanlagen im Essener Süden Innerhalb des GBV Essen-Süd wurden den einzelnen Anlagen Obmänner zugeteilt. Ein Obmann ist in diesem Kontext der gewählte Anlagenleiter, der vor Ort für Ordnung und Verwaltung sorgt und als Bindeglied zum Hauptverein fungiert. Die Gartenanlage Weserstraße hatte also einen eigenen Obmann, unterstand aber dem Vorstand des GBV Essen-Süd.
Abspaltung 2003: Im Jahr 2003 kam es zur organisatorischen Neuausrichtung: Die Kleingärtner der Weserstraße (und der zweiten Anlage an der Zeche Ludwig) lösten sich aus dem GBV Essen-Süd und gründeten den eigenständigen Verein Kleingartenverein Weserstraße e.V.. Diese Abspaltung war Teil einer stadtweiten Tendenz, große Gartenbauvereine mit verstreuten Anlagen in kleinere, selbständige Vereine aufzuteilen. Seit 2003 ist der KGV Weserstraße e. V. im Vereinsregister eingetragen und agiert mit eigenem Vorstand und Satzung. Eine Umbenennung hat insofern stattgefunden, als die Anlage zuvor nur als „Anlage Weserstraße im GBV Essen-Süd“ firmierte und nun ihren eigenen Vereinsnamen trägt.
Jahr | Ereignis (Auswahl) |
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1942 | Errichtung eines Krupp-Barackenlagers auf dem Gelände; Zwangsarbeiterlager mit zunächst französischen, dann über 1000 osteuropäischen Zwangsarbeitern |
1945 | Auflösung des Lagers nach Kriegsende; Gelände liegt brach. |
ca. 1945–49 | Nutzung des Areals als Grabeland zur Selbstversorgung der Bevölkerung (Gemüseanbau auf Trümmerland) |
1950er–1960er | Übergangszeit: Weitere informelle gärtnerische Nutzung, allmählich Bestrebungen zur dauerhaften Sicherung als Kleingartengelände (Details nicht genau dokumentiert). |
1970er | Parzellierung und Einrichtung der Kleingartenanlage in heutiger Form beginnt; Bau erster Lauben, Aufnahme in eine kleingärtnerische Organisation (GBV Essen-Süd). |
spätes 1970er / frühe 1980er |
Infrastruktur: Versorgung mit Elektrizität und fließendem Wasser wird eingerichtet; Bau der Gemeinschaftslaube als zentrales Vereinshaus. |
1980er | Mehrfache Auszeichnungen als schönste Kleingartenanlage in Essen |
1990er | Phase des Mitgliederrückgangs (generelle Tendenz in Kleingartenvereinen der Zeit). Einige Parzellen stehen zeitweise leer. |
2003 | Abspaltung von der bisherigen Dachorganisation (GBV Essen-Süd) und Gründung des eigenständigen KGV Weserstraße e.V. |
2010er | Konsolidierung: Mitgliederschwund gestoppt, neues Interesse am Kleingartenwesen; Modernisierung von Gärten, verjüngte Mitgliederstruktur. |
020er | Vollbelegung: Alle 34 Gärten vergeben, lange Warteliste. Fokussierung auf ökologische Aspekte (Insektenförderung, naturnahes Gärtnern). |
Unser Kleingartenverein Weserstraße e.V. vereint auf kleinem Raum viel Geschichte und Gegenwart. Vom düsteren Kapitel als Zwangsarbeiterlager über die improvisierte Nachkriegsbewirtschaftung bis hin zur etablierten grünen Oase mit gemeinnützigem Vereinsleben spannt sich ein Bogen über rund 80 Jahre. Heute steht der Verein auf solidem Fundament: Alle Parzellen sind begehrt, das Gemeinschaftsgefühl ist intakt und die Ausrichtung ist zukunftsorientiert (ökologisch und sozial). Welche Entwicklungen in Zukunft anstehen – seien es bauliche Veränderungen, neue städtische Kleingartenkonzepte oder weitere Generationenwechsel – bleibt abzuwarten.